Zuhause in Deutschland (29.12.2002)

Die Fährüberfahrt verläuft sehr stürmisch und wir sind nach 26 Stunden Geschaukel froh, in Marseille festen Boden unter den Füßen zu haben. Weiter geht es zu Freunden in Bern und Göttingen, die uns während unserer Zwischenstopps sehr herzlich aufnehmen und die ersten Schritte in die europäische Zivilisation erleichtern.

Zunächst ist für uns der geordnete Straßenverkehr sehr gewöhnungsbedürftig und wir müssen uns richtig zwingen, wieder den Blinker zu benutzen und nicht mehr zu hupen. Jeder fährt hier natürlich strikt an der allgegenwärtigen Fahrbahnmarkierung entlang und beharrt gnadenlos auf sein Recht. Unzählige Straßenschilder bombardieren uns mit Informationen und Verboten, die wir im letzten Jahr so nicht hatten und auch nicht brauchten. Dafür entschädigt uns eine ultraglatte, stoßdämpferschonende Fahrbahn, die unseren Landcruiser dahingleiten lässt. Alle Autos um uns herum sind wohl geputzt und strahlen um ein Vielfaches mehr, als die Menschen hinter dem Lenkrad. Willkommen im Autoland Deutschland.

Je dichter wir an unsere Heimatstadt Berlin herankommen, umso gespannter sind wir, wie das Altvertraute auf uns wirken wird. Für uns war das letzte Jahr nicht nur eine Reise, sondern ein besonderer Lebensabschnitt mit sehr vielen Erfahrungen und Eindrücken, die wir in unzähligen Diskussionen sehr intensiv an unserem bisherigen Leben in Deutschland gespiegelt haben. Wir sind sehr glücklich und stolz auf das Erreichte, denn immerhin haben wir nach über 40.000 Kilometern durch 15 Ländern an vielen Stellen den Mythos der Seidenstraße mit seinen liebenswerten Menschen, Kulturen, Landschaften und Religionen sehr intensiv erleben dürfen. Wir haben gelernt, für die Beurteilung dieser Dinge unser westlich geprägtes Wertesystem abzulegen und durch eine offene, tolerante Sicht zu ersetzen. Nur so kann man diese Länder und deren Menschen verstehen. Wir haben Werte und Tugenden in diesen uns bisher so fremden Kulturkreisen entdeckt, die zwar nicht immer unseren westlichen Vorstellungen entsprechen, aber dennoch ein zufriedenes und erfülltes Miteinander der Bevölkerung unterstützen. Es ist schon überraschend, dass diese Menschen nie über ihre persönliche Lebenssituationen klagen, obwohl sie auf den ersten Blick wesentlich weniger besitzen als wir. Zuversicht, Zufriedenheit und vor allem Lebensfreude werden statt dessen ausgestrahlt. Wo wir es aus Deutschland eher gewohnt sind, einem Fremden zunächst mit Misstrauen entgegenzutreten, wurde uns immer Vertrauen geschenkt. Stück für Stück haben wir während unserer Tour unsere Unsicherheit dem Fremden gegenüber abgelegt und auch in Vertrauen gewandelt, was das Reisen um einiges leichter gemacht hat und so haben wir uns zu keiner Zeit wirklich unsicher gefühlt und hatten auch keine wirklich brenzlige Situation.

 


Ankommen am Brandenburger Tor

Mit all diesen Gedanken und Erlebnissen im Kopf treffen wir an einem wunderschönen, glasklaren und sonnigen Wintermorgen am Brandenburger Tor in Berlin ein. Wir sind überwältigt von dem Empfang durch unsere Familien, Freunde und Kollegen und freuen uns sehr, all diese lieben Menschen in die Arme schließen zu können. Es ist wunderschön, die alten Freunde wiederzusehen, bekannte Gesichter zu sehen. Freunde zu treffen, die wir kennen, die wir nicht erst ergründen müssen, und von denen wir wissen, dass sie nicht in einer Woche auf nimmer Wiedersehen aus unserem Leben verschwunden sind. Unsere Reise war oft ein permanentes Abschiednehmen, was uns nicht immer ganz leicht gefallen ist.

Das Interesse an uns und unseren Reiseberichten ist so groß und wir können an diesem Tag die unzähligen Wünsche nach einem persönlichen Gespräch kaum erfüllen. Es ist sowieso kaum möglich, die Erlebnisse und Eindrücke des letzten Jahres in wenige Worte zu fassen und die Antwort auf die Frage: „Wie war’s?„ ist nicht einfach. Unsere Versuche, es dennoch zu tun, bleiben in der Kürze eher unbefriedigend. Doch so verschieden die Welt auch sein mag, welchen Sinn sonst hat das Reisen, wenn nicht das Bemühen, die Eindrücke der Ferne in das Weltbild der Heimat einzubringen - die Sicht der Weite in Weitsicht zu verwandeln.

Immer wieder hören wir, wie schnell das letzte Jahr bis zu unserer Rückkehr zuhause vergangen sei und wir werden nicht müde, für unser Zeitempfinden das Gegenteil zu behaupten.

Als sich der Willkommenstrubel bei dem anschlieenden „Get Together„ auf der Insel Lindwerder am Abend legt, sitzen wir noch bei einer so lange vermissten Flasche Rotwein zusammen und versuchen auch mental endlich anzukommen. Das wird wohl noch ein paar Wochen dauern, bis wir hier zuhause wieder unseren Platz finden werden. Wir sind dennoch unendlich froh, den Mut und die Kraft für unsere Reise gefunden zu haben und würden diesen Schritt immer wieder tun.

Dieses Jahr wird uns unvergesslich bleiben- es war für einen begrenzten Zeitraum ein besonderes Leben: hart und schön, beruhigend und aufbrausend, abenteuerlich und schwierig, voll Freude, Einsamkeit, Erkenntnis und Ernüchterung. Und weil es anscheinend so viele Leute interessiert: Wir haben uns in diesem Jahr trotz aller besonderen Belastungen nicht einmal ernsthaft gestritten.

Im Internet konnten wir fast nahtlos während des letzten Jahres eine Brücke zu vielen Menschen schlagen und es hat uns großen Spaß bereitet, unsere Reiseerlebnisse mit der ganzen Welt zu teilen. Wir bedanken uns für das große Interesse an unserer Tour und die vielen ermutigenden Zuschriften. Für Detailfragen stehen wir natürlich auch weiterhin über unser Gästebuch zur Verfügung.

Unsere (Online-)Expedition Silkroad 2002 ist nunmehr erfolgreich abgeschlossen und wir wünschen allen, die in den Startlöchern stehen, für die eigenen Unternehmungen viel Glück und Erfolg.

Eure

Ute Vogel und Andreas Bläse

Silkroad

 

Nachtrag

So hat sich Andreas die Wiedereingewöhnung in Berlin nicht vorgestellt. Beim Abrüsten des Autos fallen ihm auf der eisigen Kellertreppe die Sandbleche auf den Fuß. Mit einem komplizierten Sprunggelenkbruch kann er sich noch in das nahe Krankenhaus schleppen und wird dort auch sogleich operiert. Der Wiedereinstieg findet für ihn in den nächsten Wochen zunächst im Krankenbett und dann auf einem Bein statt.

Krankenlager

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