Start zum Dach der Welt (31.05.2002)

Mittwoch, 29.05.2002, 7.00 Uhr: Großer Bahnhof vor dem Tibet Guesthouse in Kathmandu. Die Mannschaft von Adventure Silkroad und das Personal verabschieden uns sehr herzlich mit den traditionellen Glückschals. Wir fahren noch einmal durch das touristisch geprägte Thamel in Richtung Landstraße. Nach den umfangreichen Zeitungsberichten der letzten Tage scheinen uns viele Nepali zu kennen und winken uns zum Abschied zu. Über 100 Kilometer Landstraße führen uns durch saftig grüne Landschaften, die wir später in den wüstenartigen Gebieten Tibets manchmal noch vermissen werden. Die Straße selbst ist eine Mischung aus Piste mit zeitweiligen Offroad Abschnitten. Jedenfalls hat sie nicht den Charakter eines Haupthandelsweges zwischen China und Nepal. In einem kleinen Dorf passiert es dann. Trotz aller Vorsicht und Schritttempo gerät eine der unzähligen Enten unter die Hinterräder und wird überfahren. Im Nu ist das Auto von der gesamten Dorfgemeinschaft umstellt und es wird über den Wert der Ente verhandelt. Das kostet Zeit, die wir nicht haben.


Friendship Highway

Auf der anderen Seite erwartet uns das wahre China. Streng blickende, stramm stehende Soldaten salutieren und weisen uns mit knappen Handbewegungen den Weg. Kein Gruß, kein Lächeln, kein Willkommen. Hier erwartet uns auch unser tibetischer Guide mit den unzähligen Genehmigungen.


Tor nach Tibet

Chinesische Grenze

Es geht 8 Kilometer weiter zum Hauptkontrollpunkt. Streng werden unsere Papiere geprüft. Und wie sollte es anders sein, es fehlt die chinesische Versicherungsbestätigung für unser Auto. Lange Verhandlungen und ewiges Warten stehen uns bevor. Unser Guide telefoniert mit Lhasa und versucht die Sache zu klären. Nachdem wir unsere englische Version der Papiere gezeigt haben, springen schließlich die ach so strengen Grenzbeamten über ihren Schatten und finden eine Lösung. Wir unterschreiben eine chinesische Erklärung, die vermutlich eine Verpflichtung enthält, vorsichtig und rücksichtsvoll in China zu fahren. Außerdem verordnet man uns eine medizinische Tauglichkeitsuntersuchung für das Autofahren, die wir in Lhasa nachholen sollen. Der Rest ist schnell erledigt und das chinesische Nummernschild montiert. Am Schlagbaum salutieren wieder zwei Soldaten als wir vorbeifahren. Es ist geschafft, wir sind in Tibet. Hier gilt wie überall im Land die chinesische Einheitszeit. Wir stellen unsere Uhren 2,25 Stunden vor und haben zum Glück noch etwas Tageslicht, weil die staatlich festgelegte Zeit in diesem Teil Chinas nichts mit dem tatsächlichen Sonnenauf- und -untergang zu tun hat. Hinter der Grenze erwarten uns schon viele Händler, Geldwechsler, Bettler und Schaulustige. Wir machen schnell, das wir hier wegkommen und fahren noch 60 Kilometer nach Nyalam auf 3750 Meter. Plötzlich verwandelt sich das grüne Tal in eine wüstenartige Landschaft mit ihren beeindruckenden Weiten. Wir freuen uns auf diese grandiosen Landschaften, die schon jetzt unsere Erwartungen weit übertrifft.


Tibetische Landschaft

Auf staubigen Pfaden in die verbotene Stadt (01.06.2002)

Unser erstes Ziel in Tibet ist die östlich gelegene Stadt Lhasa. Viele Jahrhunderte war Lhasa für Fremde nicht zugänglich und ein Besuch unmöglich. Wenn wir an die Schwierigkeiten denken, mit einem einzelnen, ausländischen Auto dorthin zu gelangen, hat Lhasa immer noch seine Besonderheiten. Es scheint, daß wir die ersten sind, die es auf diese Weise, ohne die sonst üblichen Begleitfahrzeuge, geschafft haben. Bis nach Lhasa stehen uns zunächst über 1000 Kilometer Fahrstrecke bevor. Von einer richtigen Straße kann man nur auf den letzten 200 Kilometern reden. Der überwiegende Teil ist eine knochenharte, staubige Waschbrettpiste, wie wir sie aus Afrika kennen. Der „kleine„ Unterschied ist nur, daß wir uns hier zwischen 4000 und knapp 5300 Höhenmetern bewegen. Einige hundert Kilometer echte Geländestrecke sind auch dabei, die nur mit der Geländeuntersetzung im Offroadbetrieb zu schaffen sind. Jetzt wissen wir, warum sich die Investition für ein australisches Geländefahrwerk auszahlen wird. Gestartet von Nyalam (3750 m) erreichen wir über eine wunderschöne Hochebene nach 70 Kilometern unseren ersten richtig hohen Pass, den Thang La (5050 m). Unser Auto und natürlich auch wir merken den zu großen Höhenunterschied in zu kurzer Zeit. Kopfschmerzen und Übelkeit stellen sich bei Ute ein. Das Auto quittiert die dünne Luft mit einem großen Leistungsverlust und einer schwarzen Rauchfahne. Uns wird klar, warum in Tibet so gut wie alle Geländewagen nicht mit einem Diesel-, sondern mit einem Benzinmotor ausgestattet sind. In unserer Kühlbox hat sich unbemerkt inzwischen ein See aus Essig, Bratöl und anderen Flüssigkeiten gebildet, weil durch die große Druckdifferenz alle Flaschen aufgeplatzt sind. All diese Probleme sind natürlich schnell vergessen, wenn man die grandiose Aussicht über das tibetische Hochland in Richtung Himalaya mit den schneebedeckten Gipfeln genießt.


Thang La

Weiter geht es in die Ortschaft Tingri (4340 m), wo wir einem Trekkingweg in Richtung Rongbuk und dem Everest Basecamp (Nordseite) folgen. Jetzt wird die Wegstrecke für ca. 100 Kilometer richtig hart. Jeder Besitzer eines Offroad Übungsgeländes in Europa würde vor Neid erblassen. Der kleine Unterschied in Tibet ist nur, daß die nächste Hilfe bei Problemen ungefähr drei Tagesmärsche entfernt ist. Da ist das Satellitentelefon in der Tasche eine echte Beruhigung. In Rongbuk (4920 m) verbringen wir eine kurze und wegen der Höhenprobleme schlaflose Nacht. Am Morgen fahren wir zum Everest Basecamp (5040 m) und nehmen noch einen frisch gebackenen, trampenden Everestbesteiger aus Mexiko mit, der uns unterwegs von seinen Erlebnissen auf dem Berg erzählt. Welch ein Unterschied zur nepalesischen Seite des Everest, wo wir über zwei Wochen trekken mussten, um im Basecamp anzukommen. Die Aussicht auf die „unverbaute„ Nordseite des Everest ist gigantisch.


Weg zum Everest

Everest Basecamp

Weiter geht es über den Pang La (5150 m) nach Shigatse (3860 m). Hier erleben wir einen richtigen „Infrastrukturschock„. Eine hochmoderne Stadt mit breiten, sauberen Straßen und sogar Ampeln sind in das tibetische Hochland gepflanzt worden. Was für ein Kontrast zu den anderen Gebieten. Alles trägt eine deutlich chinesische Handschrift. Wir werden in einem erstklassigen Touristenhotel untergebracht und genießen die Annehmlichkeiten der Zivilisation (Dusche, richtige Toilette...).


Pang La

Gebetsfahnen am PangLa

Am nächsten Morgen hindert uns eine kilometerlange Kinderparade an der Abfahrt. In China ist Kindertag und alle Schulkinder marschieren in Reih und Glied im Takt der Trillerpfeife des chinesischen Lehrers die Straße entlang. Irgendwie kommen uns diese Bilder aus dem östlichen Teil Deutschlands bekannt vor.


Kinderparade in Shigatze


Modernes Shigatse

Von Shigatse folgen wir einer gut ausgebauten Straße nach Lhasa (3680 m). Asphalt unter den Reifen kann ein richtiger Genuss sein. Wir freuen uns auf die vielen Sehenswürdigkeiten in Lhasa.


Ankommen in Lhasa

Lhasa und der "Wilde Westen" Tibets (06.06.2002)

Wegen unserer Onlineschwierigkeiten hier in Tibet müssen wir uns an dieser Stelle kurz fassen. Wir haben die drei Tage in Lhasa sehr genossen. Ein umfangreiches Besichtigungsprogramm des Potala und dem Jokhang Tempel sowie dem Sommerpalast des Dalai Lamas haben uns sehr begeistert. Lhasa selbst ist inzwischen eine sehr moderne Stadt mit chinesischer Prägung geworden. Dennoch hat man im alten Teil Lhasas den durch tiefe Religiösität gepägten Lebenstil bewahren können.


Altstadt Lhasa

Dach des Potala

Pilger vor dem Jokhang

Inzwischen haben wir auch unsere chinesischen Führerscheine erhalten. Vorher war noch die angekündigte ärztliche Untersuchung im Militärkrankenhaus zu absolvieren.


Untersuchung 1

Untersuchung 2

Jetzt geht es wieder in Richtung Westtibet. 3000 Kilometer Piste stehen uns bevor und wir sind sehr auf den heiligen Berg Kailash und den Weg bis nach Kashgar gespannt. Wir werden uns von dort in ca. 14 Tagen melden können.

Richtung Mount Kailash (07.06.2002)

Von Lhasa aus geht es über die Südroute in Richtung Mount Kailash. Uns stehen 1200 Kilometer "naturbelassene" Piste bevor, die nur auf den ersten 50 Kilometern die Bezeichnung "Straße" verdient. Bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit von maximal 30 Kilometer pro Stunde ist unsere Tagehöchstleistung 350 Kilometer pro Tag, worauf wir bei den Verhältnissen sehr stolz sind.

Die erste Tagesetappe führt uns nach Shigatse. Vorbei am wunderschönen Yamdrok-Tso, auch wegen seiner besonderen Form Scorpionssee genannt (4488 m) fahren wir auf 5050 Meter über den Karo-la (-Pass) und stehen unverhofft direkt am Gletscherbruch des Mount Nojin (7191 m). Welch ein kontrastreicher Anblick. Man kommt sich vor, wie bei der Disziplin "Autobergsteigen".


Yamdrok Yamtso 4482m

Am Gletscher

Nach 250 Kilometern erreichen wir Gyantse, ein ehemaliger wichtiger Handelsknotenpunkt zwischen Indien und Nepal. Dort befindet sich die sehr schöne Pelkor Choede Klosteranlage mit dem imposanten Kumbum Chorten, wo sich alle tibetischen Sekten ausnahmsweise unter einem Dach befinden.


Kumbum Shorten

Die letzten 80 Kilometer fahren wir über einen entsetzlichen Steindamm durch ein Hochwassergebiet nach Shigatse. Alle paar Kilometer werden wir von Einheimischen genervt, die mit einer provisorischen Schranke Wegezoll verlangen. Vom Damm gibt es hier kein Entrinnen.

In Shigatse besichtigen wir die gewaltige Klosterstadt Tashilunpo, dem ehemaligen Sitz des 1989 plötzlich verstorbenen 10. Panchen Lama.


Kloster Shigatse

Kloster Shigatse 2

Weiter geht es "nur" 130 Kilometer über eine knochenharte Steinpiste nach Lhatse. Einer unserer fast neuen Reifen wird von einem spitzen Stein regelrecht durchgestanzt und ist somit schrottreif. Wir fragen uns, ob ein Reservereifen für die bevorstehenden 2500 Kilometer Piste ausreichen wird. Fazit - Augen zu und durch!

Während der nächsten Etappen werden wir immer wieder von den vielfältigen und wechselnden Landschaften Tibets überrascht. Das hatten wir uns so nicht vorgestellt. Schroffe Gebirgslandschaften wechseln in weite Weidelandschaften mit unzähligen Yakherden und vorbeiziehenden Nomaden.


Weidelandschaft

Dorf

Immer wieder kommen wir an verlassenen oder zerstörten Klosterruinen vorbei.


Klosterruinen

In Richtung Saga geht es wieder über einige Pässe von 4800 bis 5200 Metern. Saga selbst ist ein hässlicher Ort mit chinesischer Zweckarchitektur. Am wichtigsten ist dort die Tankstelle, wo wir für über 1200 Kilometer den letzten Diesel bunkern können. Was nicht in den Tank passt, wird provisorisch in Plastikkanistern an die Seiten unseres Autos gebunden. Sicher ist sicher! Immerhin verbrauchen wir in dem schweren Gelände bis zu 20 Liter Diesel pro 100 Kilometer.

Mit der Unterkunft haben wir hier leider kein Glück. Alle üblichen Gästehäuser sind ausgebucht. Wir landen schliesslich in den Gästezimmern eines Bordells und sind zum Glück zu müde, um die nächtliche Fete im Vorraum zu unserem Zimmer als Störung zu empfinden. Am nächsten Morgen stolpern wir beim Aufstehen über einige Soldaten und "leichte Mädchen" und flüchten.

Ab Saga verwandelt sich die Landschaft sehr zu unserer Überraschung in eine Sandwüste, die uns sehr an die Sahara erinnert - nur mit dem Unterschied, dass wir uns auf knapp 5000 Metern Höhe befinden und die Dünen von den schneebedeckten Bergen des Himalaya Hauptkamms eingerahmt werden. Traumhaft schön! Ab und zu können wir in einer tiefen Wasserdurchfahrt den Staub vom Auto waschen.


Hohe Wüste 1

Hohe Wüste 2

Weiche Wege

Wasserdurchfahrt

Nach staubigen fünf Tagen erreichen wir Darchen, den Ausgangsort für viele Pilger, den heiligen Kailash zu umrunden. Während der Pilgersaison besteht der Ort aus mehr Zelten als Häusern. Wir heuern einen Aufpasser für unser Auto an und starten diesmal wieder zu Fuss in Richtung Kailash.

Der lange Weg ins Nirvana (10.06.2002)

Vor uns liegt der 6714 Meter hohe Kailash, für Millionen Hindus, Buddhisten und andere der heiligste Berg der Welt, der isoliert aus dem Transhimalaya ragt und die Möglichkeit einer rituellen Umrundung bietet. Wir wollen die äussere Kora (53 km) in drei Tagen zusammen mit vielen Pilgern umrunden. Die Umrundung zu Fuß soll die Sünden eines Lebens wegwaschen. 108 Umrundungen sollen das Nirvana noch in diesem Leben garantieren. 15-25 Tage brauchen Wallfahrer, die die 53 Kilometer mit ihrem Körper ausmessen.


Heiliger Kailash 6714m

Niederwerfung

Ausgerüstet mit Zelt, Schlafsack, warmer Kleidung und Trekkingnahrung starten wir in Darchen (4670 m) und erreichen nach sechs Stunden Dira Phug (5060 m), wo wir unser erstes Camp mit direktem Blick auf den Kailash aufschlagen.


Übernachtung am Berg

Am Kailash ist alles heilig oder hat einen religiösen Hintergrund: die Flüsse, Seen und Wasserfälle, die umliegenden Berge sowie die Steine mit Hand- und Fußabdrücken. Es gibt keine touristische Infrastruktur, keine Schutzhütten, keine Cola- und Snackshops, wie z. B. in vielen nepalesischen Trekkinggebieten. So sehen wir nur wenige Touristen am Kailash und fallen mit unserer bunten High-Tech-Ausrüstung neben den bescheiden ausgestatteten Pilgern schon ziemlich aus dem Rahmen.


Pilgerpause

Am zweiten Tag unserer Trekkingtour müssen wir über den 5670 Meter hohen Doelmapass steigen. Am Shiva Tsal haben wir das Gefühl inmitten von diversen ausgeleerten Altkleidersäcken zu stehen. Gläubige hinterlassen hier ihre Kleidung, Schuhe oder Haarsträhnen. Um wiedergeboren zu werden, muss man etwas aus dem jetzigen Leben hinterlassen. Wir können jedoch nichts von unserer Ausrüstung entbehren und ziehen weiter. Unser zweites Camp schlagen wir heute in der Nähe einer Nomadensiedlung auf, wo wir sofort von vielen Kinder umringt sind. Diese Kleinen sind so dreckig und verzottelt, daß wir uns kaum vorstellen können, wieviel Wasser und Seife nötig ist, um Klamotten und Kinder zu reinigen.

Heute ist unser Bergfest. Den ersten Teil unserer Reise haben wir bewältigt. In 5200 Metern feiern wir bei Trekking-Karotteneintopf und Früchtetee diesen Anlass. Der nächste Morgen ist eisig kalt und eigentlich wollen wir gar nicht aus dem warmen Schlafsack kriechen. Das Frühstück fällt dann auch noch besonders spärlich aus, da wir unser Müsli im ersten Camp liegen gelassen haben. So gibt es eben nur heiße Milch.

Auf dem Weg zurück nach Darchen geben wir noch die Spenden von nepalesischen Automechanikern aus Kathmandu im Zutrul-Puk-Kloster ab. Viele Gläubige, die selbst nie zum Kailash kommen, geben Kleidungsstücke oder Spenden anderen Pilgern mit. "Arme" lassen sich gegen Entgeld mieten und umrunden für den Zahlenden den Kailash.

Im Süden vom Kailash liegen die höchsten Süßwasserseen der Welt, der Manasarovar (4558 m) und der Rakastal (4543 m). Hier bleiben wir für zwei Tage, um uns zu regenerieren.

Pilger

Pilgerin

Regenbogenlandschaft

Spende

Yaklunch

Neues Haustier

Buttertee

Bergfest

 

Das Königreich Guge (15.06.2002)

Wir nehmen die Abzweigung vom Xinjiang-Highway (eher Hellway) bei Namru und stürzen uns für über 150 km in den abenteuerlichsten Offroadabschnitt unserer Tibettour. Die Piste ist von bis zu ein Meter tiefen Schlaglöchern und feinem, tiefem Sand gekennzeichnet. Wir quälen uns langsam durch diese Landschaft und erreichen nach sieben harten Stunden Tholing (auch chinesisch Zanda genannt). Ein hässlicher und dreckiger Ort mit den typischen chinesischen Plattenbauten. Wir kommen im Gästehaus der Armee unter, was für das Auto über Nacht sehr sicher ist. Einfache Dinge, wie das Betanken des Autos müssen hier improvisiert werden.


Zanda Tankstelle

Die Berge ringsum uns sind rot, orange, gelb und braun gefärbt und in den Tälern hinterlassen Flüsse und kleine Seen am Ufer eine dicke Salzkruste. Nach ca. drei Stunden stehen wir auf einem Hochplateau in beinahe 5000 Metern und haben einen überwältigenden Blick auf eine Canyonlandschaft und in den indischen Himalaya. Der Sutlej-Fluß hat bizarre Formationen in den weichen Sandstein gegraben, was wir hautnah miterleben dürfen, denn die Piste führt uns quer durch diesen Canyon.


Bunte Berge

Canyonlandschaft


Durch den Canyon

Am nächsten Tag fahren wir nach Tsaparang, das 10 Kilometer von Tholing entfernt liegt - beides ehemalige Zentren des Königreiches Guge. Im Jahr 10 n.Chr. entstand das Königreich, als viele Gläubige während der Buddhistenverfolgung in die Randgebiete Tibets flohen. Bis ins 17. Jahrhundert lebten hier 10.000 Menschen. Heute gleicht Guge einer Ruinenstadt auf einem Felsen. Den Sommerpalast auf der Spitze des Berges erreicht man durch einen abenteuerlichen 45 Meter langen Tunnel und in den Winterpalast lässt man sich an einem Drahtseil herab. Wehe dem, der nicht schwindelfrei ist. In den Tempelanlagen sehen wir erstmals, was während der Kulturrevolution zerstört wurde. Fotos unerwünscht.


Guge 1


Guge 2

Zum Winterpalast

Auf dem Weg nach Guge haben Menschen und Material fürchterlich gelitten. Beide vorderen Stossdämpfer sind durchgeschlagen und das rechte vordere Federbein ist wegen eines Materialfehlers bei unserem Auto gebrochen. Wir sind von unserem OME-Hochleistungsfahrwerk sehr enttäuscht, da es sich schon nach acht Monaten langsam auflöst. Tibet ist eben nicht Australien. Vielleicht zeigt sich der Generalimporteur Taubenreuter ja kulant.

Wir sind völlig erledigt. Unsere nächste Etappe nach Ali, wo das Auto provisorisch repariert werden muss, kann nur im Schritttempo bewältigt werden. Die Behelfsreparatur hat immerhin noch 300 km gehalten.


Richtung Ali

OME-Fahrwerk nach 3000 km Tibet (MPEG, 270 KB)

Kalisha - Auf Wiedersehen - Tibet (19.06.2002)

Der Army Checkpoint am Nyak Co See macht es uns bewusst. Wir haben Tibet bis zur Westgrenze durchquert und lassen jetzt das „Dach der Welt„ hinter uns. Weiter geht es durch militärisches Sperrgebiet in Richtung der autonomen Region Xinjiang. Kein anderer Teil unserer Reise hat unsere Gemüter bisher so bewegt wie Tibet.

Gekommen sind wir mit dem typisch westlich geprägten Klischee, das sich stark verkürzt auf den folgenden Nenner bringen lässt: atemberaubende Natur, Nomaden, tief religiöse Kultur, Klosterstädte, Butterlampen, gute Tibeter und böse Chinesen.

Unstrittig ist die atemberaubende Natur, die mit ihren vielfältigen, weiten Landschaften jenseits des Himalaya unsere Erwartungen total übertroffen hat. Wir bereuen keinen der über 3000 Kilometer, die wir in unserem Auto durchgeschüttelt wurden. Reisen ist in Tibet viel härter, als wir gedacht haben. Die weiten infrastrukturlosen Fahrstrecken, die großen Höhen, die erbarmungslose Sonne, die trockene, staubige Luft, der ewige Wind und die katastrophalen hygienischen Verhältnisse haben uns sehr dicht an den Rand unserer körperlichen und psychischen Leistungsfähigkeit gebracht. Aber wir haben es ja so gewollt!

Ein großer Kontrast hierzu sind die sehr modern gestalteten Städte, die wie „Phoenix aus der Asche„ plötzlich im Wüstensand auftauchen. Alles vom Feinsten! Es hat nur den Anschein, daß man beim Fünfjahresplan den Fernstraßenbau vergessen hat.

Das an vielen Stellen vorgefundene religiöse Leben der Buddhisten hat uns sehr beeindruckt. Mit großen Anstrengungen und staatlicher Unterstützung werden die Wunden der Kulturrevolution getilgt. Viele der Klöster, die wir besuchen, sind innen wie außen in einer sehr guten Verfassung. Gewundert hat uns die Art und Weise, wie von den Mönchen auch bei armen Menschen für das Vorlesen religiöser Skripte Geld eingetrieben wird. Wir haben an einigen Stellen den Eindruck, uns in einer Bank und nicht in einem Kloster zu befinden. Richtig verärgert waren wir über die exorbitanten Fotogebühren. Für jeden Raum darf man extra bezahlen und in einer Höhe, die jeden gewöhnlichen Besucher abschreckt. In einem Kloster kostet das Fotografieren der Klosterküche den doppelten Betrag, wie die heiligste Buddhafigur.

Überhaupt hatten wir als Individualreisende mit den meisten Tibetern so unsere Probleme. Sie sind in Alltagssituationen nicht nur zurückhaltend zu uns, sondern eher unfreundlich und wenig hilfsbereit. Oft entschuldigt sich unser tibetischer Guide für das Verhalten seiner Landsleute. Wenn wir Hilfe bekamen, waren es überwiegend Chinesen. Richtig ärgerlich sind Situationen, bei denen Tibeter junge Chinesen aus ihrem Laden werfen. Von Toleranz spüren wir sehr wenig.

Dabei kann die Zukunft nur eine gemeinsame sein. Über ein Drittel der Gesamtbevölkerung sind Chinesen, für die Tibet inzwischen ebenfalls zur Heimat geworden ist. Viele junge Tibeter haben eine chinesisch geprägte Bildung erfahren und können sich ein Tibet nach den alten, feudalistischen Grundsätzen eines Gottesstaates überhaupt nicht mehr vorstellen. Das alte Tibet war nie „Shangri La„, sondern ein sehr strenger Staat mit Leibeigenschaft, sozialer Ungerechtigkeit und drakonischen Strafen. Räder der Geschichte kann man nicht so einfach zurückdrehen. Vielleicht wäre ein Blick in andere autonome Regionen Chinas, in denen Minderheiten unter ähnlichen Konditionen ihre Kultur und Religion erfolgreich bewahren, keine schlechte Sache.

Wir wünschen den Tibetern, daß sie ihren Weg aktiv und tolerant im Rahmen einer zunehmend verständnisvollen Zentralregierung gestalten können.


Bild 1

Bild 2

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